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Corpus
© 2015

35mm, s/w, 1:1,37, DolbySR, 19 Min.
Dirk Schaefer
Sixpack Film (Wien)
     

Um 1925 entwickeln die Surrealisten in Paris eine Cadavre exquis genannte Schreib- und Zeichentechnik, bei der mehrere Beteiligte gemeinsam eine Zeichnung herstellen oder einen Satz bilden. Dabei schreibt oder skizziert jeder Teilnehmende einen vorher vereinbarten Satz-, bzw. Körperteil, verdeckt das Ergebnis, und reicht das Blatt weiter für den nächsten Teil. Diese Gemeinschaftsarbeiten resultieren in hochgradig synthetischen, phantastischen Bildern oder Sätzen – Compositionen im ursprünglichen Wortsinn: Teile, zusammengefügt.

Den Name erhielt diese Technik vom ersten Satz, der mit ihr gewonnen wurde: "Le cadavre exquis boira le vin nouveau", dt. „Der köstliche Leichnam wird den neuen Wein trinken“, engl. „The exquisite corpse shall drink the new wine.“

Während die meisten meiner Filme aus einer einzigen, oder zumindest einer dominierenden Found-Footage-Quelle gespeist wurden, dienten diesmal, in Referenz zur surrealistischen Mischtechnik des „cadavre exquis“, mehrere unterschiedliche Filme als Ausgangsmaterial. Neben einigen Rushes für Werbefilme waren dies ein amerikanischer Erotikthriller aus den 1980er Jahren, eine britische Komödie aus den frühen 1960ern, ein dänischer und ein französischer Pornofilm (beide vermutlich aus den 1970ern), ein italienischer Softsexfilm von 1979, sowie ein (britischer?) Amateurspielfilm, der sich am ehesten als als "Nudistenfilm" bezeichnen ließe: Expliziter Sex spielt keine Rolle, dafür laufen die Darsteller und Darstellerinnen allesamt völlig unmotiviert nackt durch die Landschaft.

Mein Hauptaugenmerk lag auf den zuletzt genannten erotischen Filmen; alle vier verbindet, dass sie eine Geschichte erzählen, die zutiefst hanebüchen ist, was insofern nicht ins Gewicht fällt, da es in der Hauptsache darum ging, den menschlichen Körper nackt zu zeigen. Diese Grundhaltung machte ich mir zu Nutze, indem ich den Körper des Films zum Thema von “The Exquisite Corpus“ erhob.

„The Exquisite Corpus“ beginnt mit einer Suche entlang der Küste eines Meeres. Vom Boot aus sehen wir bereits ein wenig vom Personal des Films. Schließlich stoßen wir auf das Objekt der Suche – eine schlafende Schöne am Strand. Während wir noch die Frau in ihrem Schlaf betrachten, werden wir plötzlich und unvermutet in ihren Traum gezogen. Es ist dies ein Traum voller Ambivalenzen – sinnlich, humorvoll, schauerlich, ekstatisch; insgesamt eine breit angelegte Verführung zur Lust an greifbarer, spürbarer, köstlicher Körperhaftigkeit – auch der des analogen Films.

Neben dem erwähnten Found Footage finden sich quer durch den Film immer wieder indexikalische Zeichen und Bilder einkopiert: Fotogramme natürlichen Ursprungs wie Laub und Blütenstände, sowie tgals kulturelle Produkte Netze und Häkelarbeiten. Dieses Geflecht aus indexikalischen Abdrücken („Rayogrammen“, wie sie nach Man Ray und dessen Dunkelkammer-Experimenten auch genannt werden) demonstriert nicht nur eine spezifische Möglichkeit der Gestaltung analogen Films, es verleiht der Leinwand auch ein organisches Flair, in das die fotografisch-ikonischen Bilder – die ebenfalls zwischen gemachten Innenräumen und freier Natur changieren – sich über weite Strecken eingebettet finden.
Auch Schrift taucht mehrfach inmitten des Bilderreigens auf, und zwar in den Versionen Druckschrift und Handschrift – wie ein Echo auf die Systeme ikonisch (Druck) und indexikalisch (Abdruck).

Diese unterschiedlichen Quellen, aus denen „The Exquisite Corpus“ gespeist wird, führten zu  Bruchlinien und Heterogeneitäten, die ich im Hinblick auf die surrealistische Technik des „cadavre exquis“ bewusst in Kauf genommen habe. Gleichzeitig spielt der Titel des Films freilich auf den „exquisiten Leichnam“ an, den der analoge Film heute darstellt: ein köstlicher Körper, allerdings versehen mit einem Ablaufdatum. Noch ist dieses Datum nicht genau erkennbar, aber es ist absehbar.


Peter Tscherkassky

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